Index (# 213).
Im Artikel äußert sich Holger Zschäpitz, Ressortleiter Wirtschaft bei "Die Welt", zum stark gefallenen Baltic Dry Index (BDI). Der BDI notiert aktuell bei 509 - und damit 150 Punkte unter seinem Krisentief aus 2009.
In der Vergangenheit war ein BDI-Absturz oft ein vorauseilender Indikator für einen bevorstehenden Börsen-Crash - u. a. in der Finanzkrise 2008/2009. Autor Tschäpitz fragt daher, ob nun - angesichts des rekordtiefen BDI - erneut mit einem großen Börsenabverkauf zu rechnen sei.
Dazu geht Tschäpitz am Anfang seines Artikels zunächst grundsätzlich auf den Zusammenhang zwischen Korrelation und Kausalität ein. Er weist - zutreffend - darauf hin, dass Korrelationen häufig fälschlicherweise als Kausalitäten (= Ursachenzusammenhänge) fehlinterpretiert werden.
Es sind die zwei K, die oft über Erfolg und Misserfolg bei der Geldanlage entscheiden. Viele Sparer unterscheiden nicht zwischen Korrelation und Kausalität – und das ist ein fataler Fehler. Jeder kennt die Geschichte von den Störchen und den Geburten. Wenn die Zahl der Geburten steigt und gleichzeitig viele Klappervögel auftauchen, heißt das nicht, dass die Störche die Kinder bringen oder umgekehrt, dass schreiende Babys die Vögel anziehen.
An den Finanzmärkten wird eine solche Unterscheidung nur selten getroffen. Da ist der als Crash-Barometer bekannte Baltic Dry Index zuletzt auf ein historisches Tief gefallen. Also muss ein Crash an der Börse unmittelbar bevorstehen..."
Das altbekannte Beispiel von Storchbeständen und Geburtenraten belegt, dass Korrelationen in der Tat nicht als Kausalitäten ausgelegt werden dürfen. In Niedersachen etwa war die Geburtenrate von 1970 bis 1985 stark rückläufig, in gleichem Maße gingen die Storchbestände zurück. Dennoch erlaubt diese - von den Zahlen her schlüssig belegbare - Korrelation nicht, auf einen Ursachenzusammenhang ("Störche bringen die Babys") zu schließen.
Aus diesen Erkenntnissen gibt Tschäpitz seinem an sich bärischen Artikel nun aber einen "bullischen Dreh": Der BDI habe zwar in der Vergangenheit oft mit Aktienständen korreliert, es bestehe aber kein strikter Kausalzusammenhang. Als Beleg führt der Autor die DAX-Entwicklung in 2010 und 2012 an - beides Jahre, in denen der DAX trotz fallendem BDI stieg.
Tschäpitz' Beispiele sind allerdings schon deshalb nicht repräsentativ, weil sich der DAX zuvor in der 2008/2009-Finanzkrise mehr als halbiert hatte und in 2010 und 2012 eine fulminante Aufholjagd hinlegte. Hinzu kommt, dass Vermögenspreise in QE-Zeiten, wie er auch selber einräumt, vor allem vom Gelddrucken der Zentralbankergetrieben wurden und werden, wodurch Fundamentfaktoren in den Hintergrund rücken.
Der Artikel stimmt damit letztlich - obwohl er um den an sich bedrohlichen BDI-Absturz kreist - in das an Börsen-Allzeithochs verbreitete und beliebte "Diesmal ist alles anders"-Mantra ein. Kein Wunder, dass Tschäpitz als weiteren Beleg ausgerechnet einen Goldman-Analysten zitiert:
"Der Absturz des Baltic Dry Index lässt nur noch zum Teil Rückschlüsse auf die Wirtschaftsdynamik in China und anderen wichtigen Schwellenländern zu", erklärt Christophor Jost, Stratege bei der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs.
Die Crux an Tschäpitz' Argumentation: Er bemüht kritische Vernunft ("Korrelationen sind keine Kausalitäten"). An den Börse geschieht jedoch praktisch ständig bzw. notorisch das Gegenteil: (Sell-Side-)Analysten "verkaufen" Korrelationen hedonistisch als Kausalitäten.
Man rufe sich nur die Rohstoff/Dollar-Spinstory aus 2008 ins Gedächtnis: Analysten behaupteten damals unisono, der rasante Anstieg aller Rohstoffpreise [ein beobachtbarer Fakt] sei "eine Folge der stark gestiegenen Nachfrage in China und Asien", gekoppelt mit Rohstoffknappheit infolge des "Oil Peak" (Spinstory 1). Außerdem seien die Rohstoff-Preisanstiege bedingt durch die "Tatsache", dass der US-Dollar langsam "wertlos" werde (Spinstory 2, abgeleitet u. a. aus dem Goldpreisanstieg). Das große Geld flüchte daher angeblich in die "Sicherheit" von Rohstoffen.
Analysten ließen in der Folgezeit nicht locker, die beobachtbare inverse Korrelation aus fallendem Dollar und steigenden Rohstoffpreisen als "Kausalität" hinzustellen - und durch unablässiges Wiederholen in den Medien in die Köpfe der Investoren und Trader zu hämmern.
Nach gleichem Muster hören wir heute - ebenfalls zum Weitertreiben des Börsen-Hypes - ständig die Spinstory, dass die Inflation noch unter der von Notenbank XYZ festgelegten "Sollinflation" liege, was weiteres Gelddrucken erforderlich mache. Unterschlagen wird dabei erstens, dass sich die Notenbanker das Konzept der Sollinflation förmlich aus den Fingern gesogen haben, um Vermögenspreise noch höher zu treiben (Hauptaufgabe der Notenbanken ist nämlich, Inflation zu VERMEIDEN). Zweitens ist in keinster Weise erwiesen, dass Gelddrucken in einer Bilanzrezession überhaupt die Inflation erhöhen kann (Richard Koo). [Ironischerweise wird QE übrigens gerade dadurch zu einem argumentatorischen Perpetuum mobile...]
Von solchen grundlegenden Erkenntnissen gänzlich ungerührt basteln Analysten aus beiden Spinstorys die für das aktuelle Blasentreiben benötigte Pseudo-Kausalität: "Die Börsen steigen, WEIL Notenbanker Geld drucken und WEIL Geld dadurch wertlos wird."
Wenn vermeintliche Wertlosigkeit angedroht wird, sollten - wie schon 2008, als angeblich der US-Dollar wertlos werden sollte - die Alarmglocken schrillen. Auch in der damaligen Rohstoff-Hausse hatten Hedgefonds und deren "Analysten" mit ihrer Kausalitäts-Spinstory zunächst Erfolg. Der "Deal des Jahres" war, sich in US-Dollar zu verschulden (= steigende Hebel, mehr Leverage) und mit dem dabei in die Kassen fließenden Geld die Rohstoffpreise hochzutreiben. Folge: EUR/USD stieg bis 1,60 - und WTI-Öl 147 Dollar.
Doch schon im Dezember 2008 - der Banken-Crash war in vollem Schwange - notierte Öl bei nur noch 35 Dollar, und EUR/USD war auf 1,25 gefallen. Man fragt sich: Wie kann die angebliche "Wahnsinnsnachfragenach nach Öl und Rohstoffen in China/Asien", die als Begründung für die Öl-Rallye herhalten musste, in nur sechs Monaten derart stark zurückgehen, dass sich der US-Ölpreis fast fünftelt? Und wieso stieg im gleichen Sechsmonats-Zeitraum der US-Dollar von EUR/USD 1,60 auf 1,25 - wo doch beim US-Banken-Crash im zweiten Halbjahr 2008 gleichsam die Wiege des US-Dollars in Flammen stand?
Im Zuge der aktuell angesagten Spinstory "USA hat sich besser als Europa von der Krise erholt" wurde der Euro von den vereinigten Zockern sogar bis 1,05 gedrückt. Man sieht deutlich, dass die damalige Behauptung "der US-Dollar wird wertlos" ein Hirngespinst war, dem mit begleitendem Kausalitäts-Gesülze Glaubwürdigkeit eingehaucht werden sollte.
Welt-Autor Tschäpitz bemerkt in seinem Artikel denn auch völlig zu Recht: "An den Finanzmärkten wird eine solche Unterscheidung [zwischen Korrelation und Kausalität, A.L.] nur selten getroffen."
Wieso aber soll dann beim BDI "diesmal alles anders" sein? Wieso weist der Autor darauf hin, dass es der Börse fast immer an kritischem Verstand mangelt (mit der Folge, dass Korrelationen und Kausalitäten hedonistisch gleichgesetzt werden), nun aber ausgerechnet beim BDI-Absturz dieser kritische Verstand als Geist aus der Flasche gefahren sein soll - mit der Folge, dass die früher enge Korrelation zwischen BDI und Börsenstände heute als "nicht kausal" ignoriert wird?
Tatsache ist, dass Wall Street diese Kausalitäts-Behauptungen nur dann aus dem Hut zaubert, wenn an dem Humbug verdient werden kann. An der Aktienhausse verdienen Goldman und Co. zurzeit prächtig - man denke nur an die stark gestiegenen M&A-Aktivitäten (Firmenübernahmen). Was liegt da näher, als offenkundige Bedrohungen wie den BDI-Absturz kleinzureden, indem man ihn als "nicht kausal" abtut oder - wie der oben zitierte Goldman - darauf verweist, dass der BDI "nur noch zum Teil Rückschlüsse zulässt".
Aus diesen Widersprüchen versucht sich Autor Tschäpitz u. a. zu winden, indem er - korrekt - darauf hinweist, dass unklar sei, ob die stark gefallenen Frachtpreise eine Folge von Nachfragerückgängen in Asien/China sind oder eine Folge des Überangebots an neuen Frachtschiffen (In 2008, als der BDI bei 11.000 austoppte, gab es einen "Schiffs-Bestell-Hype". Er führte zu einem Überangebot an Frachtschiffen, an dem deutsche Reeder und Schiffsfinanzierer wie der HSH-Nordbank, die kein Fettnäpfchen ausgelassen hat, bis heute kranken.) Am Ende stuft der Welt-Autor dann allerdings - hedonistische Analysten zitierend - das Schiffs-Überangebot als deutlich größeren Einflussfaktor ein. Womit er erneut der Behauptung das Wort redet, der BDI-Verfall sei diesmal KEIN Warnsignal.
Zwar weist Tschäpitz am Ende seines Artikels auf die sich immer weiter zuspitzende wirtschaftliche Schieflage in China hin (dort soll nun sogar wegen der Finanznot in den Regionen QE praktiziert werden - siehe BT-Postings der letzten Tage). Damit begibt er sich allerdings erneut in Widerspruch zu seiner obigen - Fremdzitat-belegten - Behauptung, der BDI-Verfall gehe nur zu einem kleinen Teil auf die gesunkene chinesische Rohstoffnachfrage zurück.
FAZIT: Die an sich korrekten Ausführungen des Autors, dass Korrelationen nicht als Kausalitätszusammenhänge gewertet werden dürfen, beißen sich damit, dass diese goldene Logik-Regel an den Finanzmärkten praktisch ständig (und oft hedonistisch) verletzt wird. Den Analysten ist keine Spinstory zu blöd, um eine Hausse in Was-auch-immer noch höher zu treiben. Dass im Fall des Baltic-Dry-Index die statistisch recht signifikante Korrelation zu den Börsenständen (die einen Börsen-Crash zumindest wahrscheinlicher macht) aktuell ignoriert wird, liegt nicht etwa daran, dass die Börsianer "weise" oder aus Schaden klug geworden wären. Der wahre Grund für die BDI-"Ignoranz" ist vielmehr der, dass sonst die Börsen-Rallye, an der Wall Street so prächtig verdient, einen profitmindernden "Knacks" bekommen könnte. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis die Spinstory nicht mehr zu halten ist.