A. Ich beginne mal kurzfristig, d.h. für 2021, unter folgenden Annahmen
1. BNT 162 wird um den Jahreswechsel 20/21 herum in EU, USA und anderen relevanten Märkten (ausser China/ Russland) zugelassen;
2. Alle in 2021 produzierten Mengen können in 2021 auch abgesetzt werden, weil die weltweite Nachfrage das Gesamtangebot zugelassener Impfstoffe deutlich übersteigt;
3. Die kombinierte Jahreskapazität von BT/Pfizer liegt 2021 bei ca. 2 Mrd. Dosen (1,2 Mrd. angekündigt im Frühsommer 2020, plus 750 Mio. aus Marburg, plus Lohnfertigung/ -abfüllung hier und da). Diese Kapazität wird auch ausgeschöpft, d.h. es kommt weder zu unvorhergesehenen Anlaufproblemen, noch werden inputs (Polymerase, Impfstofffläschchen u.ä.) knapp. Die Kapazität verteilt sich etwa hälftig auf Pfizer und BioNTech - somit entfällt Herumrechnen bzgl. der Details des profit-sharings
4. Der VK-Preis je Dosis liegt zwischen 17 EUR (US-Vereinbarung für die ersten 100 Mio.) und 10 EUR (Preis J&J, Zielpreis Weltbank). 1.Hj 2021 eher am oberen Limit, 2. Hj. niedriger. Zur Vereinfachung setze ich 13,50 EUR im Jahresdurchschnitt an.
5. Herstell- und Vertriebskosten/ Dosis ca. 2 EUR (siehe meinen Post von heute Nachmittag) -> 11,50 EUR Bruttomarge/ Dosis.
6. 1,5 Mrd. overheads/ Fixkosten plus nachträgliche Vergütung der hälftigen Phase 3-Kosten an Pfizer in 2021. [Finanzierungskosten fast vernachlässigbar: 2% p.a. auf 100 Mio. von der EIB, ältere, kleinere Finanzierungen zu ähnlichen Zinsen, hohe Liquidität aus Kapitalerhöhungen. Abschreibungen ebenfalls niedrig aufgrund des Investitionszuschusses vom Bund, siehe vorstehende Diskussion mit Medipiss.]
-> EBT 2021 ca. 10 Mrd EUR -> EPS vor Steuern ca. 40 EUR (zur Vereinfachung auf 250 Mio. Aktien gerechnet, effektive Zahl liegt etwas niedriger).
B. Mittelfristige Perspektive Corona-Impfstoff (nach 2021): Hier gibt es zwei große Fragen:
1. Wieviele andere Impfstoffe, mit welchen Kapazitäten, werden in 2021 noch zugelassen? Relevant sind in dieser Hinsicht v.a. die "Großen", insbesondere AZ (2 Mrd. Dosen/ Jahr angekündigt) und J&J (1 Mrd./ Jahr angekündigt). Novavax will es ab Mitte 2021 mit Hilfe des Serum Institutes of India auch auf 2 Mrd. Jahreskapazität bringen - könnte allerdings sein, dass sich das SII, das parallel 1 Mrd. Dosen jährlich für AZ produzieren will, und auch noch mit den Russen redet, etwas überhebt. Chinesische Totimpfstoffe können es, wenn sie entsprechende weltweite Kapazität z.B. in Indonesien einsammeln, möglicherweise auch auf 1 Mrd./ Jahr bringen. Weniger relevant in dieser Hinsicht sind Modernas 500 Mio./ Jahr, und Curevacs ca. 300 Mio. (Erweiterung ab Mitte 2021 avisiert).
Ich habe da, ehrlich gesagt, keinen vollständigen Überblick. Da trudeln auch fast täglich neue Meldungen aus Rußland oder China über mögliche Kooperationen mit irgendwelchen obskuren Buden ein, deren Zuverlässigkeit für mich nicht einschätzbar ist. Jedoch kann man wohl davon ausgehen, dass, wenn alle vorgenannten Kandidaten durchkommen und ihre vorangekündigten Kapazitäten auch zum Laufen bekommen, etwa Mitte 2022 die Welt weitgehend durchgeimpft ist. Wenn es jedoch 1-3 "Große" nicht über die Ziellinie schaffen - und danach sah es ja bis vor ein paar Tagen für AZ und J&J aus - dauert die "erste Impfwelle" deutlich länger, wohl bis ins Jahr 2023, vielleicht sogar 2024.
2. Bleibt es bei einer Impfwelle, oder wird regelmäßige Auffrischung bzw. Anpassung an neue Stämme erforderlich? Falls ja, in welchem Zyklus? Auch hier herrscht allgemeines Rätselraten, und wir werden wohl mindestens das erste Zulassungsjahr abwarten müssen, bevor wir diesbezüglich Klarheit erhalten. Immerhin, einige Analysten (z.B. SCB Leerink in ihrer letzten Pfizer-Analyse) preisen das Auffrischungs-Szenario schon grundsätzlich ein. Will ich denn auch mal tun:
- Absatzmengen: Vektorimpfstoffe (AZ, J&J, SinoVac, Sputnik) sind für Auffrischung aus dem Rennen - die "two shots per lifetime" sind mit der ersten Impfwelle durch. Totimpfstoffe brauchen etwa ein halbes Jahr Vorlauf (großes Problem bei Grippe-Impfstoffen) - eher suboptimal, wenn es um "Abfangen" neuer Stämme geht. D.h., der Auffrischungs-Markt geht weitgehend an mRNA-Impfstoffe, plus möglicherweise rekombinierende Proteine (Novavax). Auffrischung braucht vermutlich nur Einfach-Impfung, lässt u.U. Entwicklungsländer weitgehend aussen vor, wird vielleicht auch weniger Ernst genommen als eine Corona-Impfung jetzt. Also sage ich mal, übern Daumen: 3 Mrd. Impfungen pro Jahr, graduell abnehmend. Ein Drittel davon, 1 Mrd. Dosen/ Jahr, sollte für BioNTech/ Pfizer locker drin sein, vielleicht auch deutlich mehr. Wird stark davon abhängen, wie Moderna, Curevac, Novavax und Konsorten ihren Vertrieb auf die Reihe kriegen..
- Preise: Wohl kaum noch 17 EUR/Dosis. Ich sehe da eher so 10-12 EUR, also den derzeitigen deutschen Tarif für von den Kassen gezahlte Grippeimpfstoffe.
Ergäbe dann so 5-6 Mrd. EUR Umsatz, 4-5 Mrd. Bruttomarge pro Jahr, dauerhaft, wenn auch wohl graduell abnehmend. Bisschen F&E-Aufwand bei BioNTech für die jährlichen updates, Vertriebskosten landen bei Pfizer (die müssen ja auch was für ihre 50% profit sharing tun). Abzüglich 1 Mrd. Fixkosten einschl. vorgenannter coronabezogener F&E (aber v.a. viel F&E zu anderen Produkten, s.u.) ~ 3-4 Mrd. EBT, 12 - 16 EUR EPS vor Steuern.
Die Antworten auf die vorgenannten Fragen entscheiden darüber, ob Corona eine Eintagsfliege (2021 plus 1. Hj. 2022) bleibt, oder mittel- bis längerfristig Umsatz und Marge generiert. Im ersten Fall rechtfertigen die Impfstoffgewinne maximal ein KGV von 15, vielleicht nur von 10, also Spitzenkurse um 400 - 600 EUR. Wenn die "erste Impfwelle" infolge des Scheiterns großer Konkurrenten deutlich länger dauert, ist ein KGV bis 25 drin - so kamen meine "tausend" zusammen. Nun gut, AZ und J&J dürfen Stand heute auch in den USA mit Phase 3 weitermachen - legen wir die "tausend" bis auf weiteres bei Seite. Bleibt immer noch die Aussicht auf jährliche Auffrischung: 12-16 EUR EPS vor Steuern mal KGV 20-25 ~ 240 - 400 EUR Zielkurs. Fazit: Kurzfristig sollten 400 EUR auf jeden Fall drin sein, wenn sich Corona-Impfung als Dauergeschäft entpuppt, könnte dies solchen Kurs auch mittel- bis langfristig rechtfertigen.
C. Beyond Corona:
Wir reden hier zunächst mal über mRNA als Impftechnologie der Zukunft. Prof. Huber hat das sehr schön dargestellt, besser als ich es je könnte - einfach mal anschauen. Kurzfristig steht hier Grippe-Impfung auf der Agenda: Pfizer antizipiert Zulassung und Umsätze schon in 2022, mein Bekannter bei BioNTech (der alles diesbezügliche dem PEI verkaufen muss) orientiert eher in Richtung 2023. Weltmarkt etwa 20 Mrd. USD (aus der Erinnerung, hatte vor ein paar Wochen mal Links gepostet), wachsend und unterversorgt. 25% Marktanteil Pfizer/ BioNTech sollten drin sein. In etwa die gleiche Hausnummer wie Corona-Auffrischung - Preise wohl identisch, Absatzmengen etwas etwas geringer aufgrund stärkerer/ breiterer Konkurrenz (und Novavax als Angreifer auf die "Etablierten"). Sagen wir mal 0,8 Mrd. Dosen Jahresabsatz Pfizer/BT, 8 Mrd. EUR Bruttomarge, davon die Hälfte für Biontech. Bringt uns analog vorstehender Rechnung wieder auf etwa 240- 400 EUR Zielkurs - und mit Corona-Auffrischung landen wir dann schon bei mindestens dem Doppelten.
Dann hätten wir u.a. HIV und Hepathitis in der Pipeline. Technisch komplexer, insofern long-shots, dafür übernimmt aber die Gates Foundation die Entwicklungskosten. Deren gut hundert Millionen sind ertragsseitig im Vergleich zu Corona-Auffrischung und Grippeimpfung eher peanuts, helfen aber dennoch nicht unerheblich bei der F&E-Finanzierung. Und, wer weiss: Wenn da vermarktbare Impfstoffe rauskommen, werden die ja vielleicht nicht komplett zu besseren Selbstkostenpreisen an die Gates Foundation zur Verteilung in der Dritten Welt abgegeben, sondern BioNTech darf möglicherweise auch etwas davon auf eigene Rechnung zu höheren Preisen in Industrieländern vermarkten.
Vor allem aber: Für Pfizer als derzeitige Nr. 2 im Welt-Impfmarkt ist das Thema mRNA-Impfstoffe sicher nicht mit Corona und Grippe erledigt. Die werden noch diverses anderes (Masern/ Mumps/ Röteln, Gelbfieber, Tetanus, Tollwut etc.) auf dem Zettel haben, und Tierimpfung ist auch kein ganz kleiner Markt. Mag sein, dass sich Pfizer da zum Teil eigenständig dran versuchen wird. Aber wenn die Pfizer-Leute nicht ganz dumm sind (was ich nicht glaube), sollten sie schon begriffen haben, wo entsprechende Kompetenz zu finden ist.
Über Krebsbehandlung, eigentlich BioNTechs Hauptziel, habe ich jetzt noch gar nicht gesprochen. Auch da empfehle ich, bei Prof. Huber reinzuhören. Was er kurz vor Schluß, unter offensichtlichem Zeitdruck, präsentiert hat, fand ich extrem eindrucksvoll und weit über meinen kühnsten Erwartungen. Ganz am Ende hat er Zulassungsmöglichkeiten in 2020/21 angedeutet, und meinte nach meinem Verständnis damit mehr als "nur" BNT162 gegen Corona. Ich habe kaum Ahnung von erzielbaren Mengen und Preisen, erspare mir und Euch deshalb auch jede Prognose. Was ich jedoch weiss, ist, dass eine einzelne Krebsbehandlung in Deutschland derzeit mehrere hunderttausend Euro kosten kann, und sich vorhandene Medikamente an diesem Rahmen orientieren und entsprechend teuer und margenstark sind.
D. Die Fundamentals: Warum sollte man eine Aktie langfristig halten ? Gab schöne postings dazu hier die letzten Tage, gerne garniert mit W. Buffet-Zitaten. Essenz: Weil man an das Unternehmen glaubt! Und warum glaubt man an ein Unternehmen?
1. Es ist gründergeführt, und die Gründerpersönlichkeit überzeugt mit ihrer Vision [BioNTech: Check].
2. Es addressiert einen vorhandenen Bedarf/ Markt, der nicht nur kurzfristig ist, sondern langfristig existieren wird [Biontech: Epidemien/ Krebs. Check]
3. Die Technologie ist innovativ und zukunftsweisend [Biontech: mRNA. Check]
4. Das Unternehmen (die Unternehmensführung) hat schnelle Adaptionsfähigkeit an neue Entwicklungen demonstriert [BioNTech: Corona-Impfstoffentwicklung in Rekordzeit. Check]
Könnte ich fast beliebig fortsetzen (Kooperationsfähigkeit und -willigkeit, Wissen um eigene Stärken und Schwächen, herausragendes Projektmanagement, Marktführung [mRNA] ,usw.), aber ich denke, der Punkt wird auch so klar.
Ugur Sahin, wie er da halb-schüchtern und etwas kamerascheu vor der Bücherwand seines Wohnzimmers Interviews gibt, hat sicher nicht das Charisma eines Steve Jobs oder Evon Musks. Er ist eher der Nerd, wie auch Bill Gates. Aber für mich gehört er schon in diese Liga. Nerdiness hin oder her - wenn es drauf ankommt, versucht er auch mal, seinem chinesischen Partner Punkte bei der Parteiführung zu verschaffen und damit das steckengebliebene gemeinsame Projekt wieder anzuschieben, und bei seinen Mitarbeiter(inne)n geniesst er eine Hochachtung, von der vermutlich diverse Vorstände von (M)DAX/ S&P Unternehmen nur träumen können.
Der "Markt" - und Einige im Forum hier - sehen das offensichtlich anders. BioNTech ist kurzfristige Tradingmöglichkeit, bestenfalls Chance auf ordentliche Gewinnmitnahme nach Zulassung des Corona-Impfstoffs - aber doch keine deutsche Microsoft, Apple, Tesla! Wirklich nicht? Ich sehe da mehr. Wie ich letzens hier jemandem per board-mail schrieb: Diese Aktie verkauft man nicht, die vererbt man seinen Kindern (was auch, zumindest für einen maßgeblichen Teil des Bestands, der Plan ist).
Sollte der "Markt" meiner Einschätzung ebenfalls zuneigen, kann es kursmäßig weit, weit nach oben gehen. Vermutlich bin ich mit meiner Einschätzung jedoch in der Minderheit - demonstriert u.a. durch die Kursschwankung der letzten Tage.