Verpackte Wahrheit
George W. Bush hatte vor der unangenehmen Wahrheit für seine Landsleute zunächst ein Geschenk parat. Der US-Präsident kündigte an, dass etwa 5 700 der derzeit 168 000 im Irak stationierten Soldaten noch vor Weihnachten nach Hause zurückkehren könnten. Dann erst kam Bush auf das Wesentliche seiner Botschaft zu sprechen.
WASHINGTON. Reichlich verklausuliert machte Bush die US-Bürger mit der Tatsache vertraut, dass dieser Krieg nicht vorbei sein wird, wenn seine Uhr im Weißen Haus abgelaufen ist. Wer auch immer Bush im Amt nachfolgt, er oder sie wird diesen Krieg erben und ihn vielleicht sogar noch einmal selbst weitervererben. Das Irak-Engagement der USA wird bleiben, auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte. Schon wird die Situation mit Korea verglichen - und dort haben die USA Truppen seit weit mehr als 50 Jahren.
Dies kommt wie eine kalte Dusche nach einer Woche der guten Nachrichten. Die waren von dem Kommandeur im Irak, General David Petraeus, und dem US-Botschafter in Bagdad, Ryan Crocker, in stundenlangen Hearings über Washington ausgeschüttet worden. Petraeus hatte vor allem von den militärischen Erfolgen gesprochen, und Crocker hatte es vermieden, all zu hart mit der Regierung von Premier Nuri el Maliki ins Gericht zu gehen.
Vom Licht war die Rede, nicht vom Schatten. Und ein wenig keimte tatsächlich die Hoffnung auf, dass sich die Sache im Irak noch drehen ließe und sämtliche Truppen Schritt für Schritt nach Hause kommen könnten. Doch wenn man die Rede von Bush genau liest, dann steht eben dies nicht zu erwarten. "Die irakische Führung hat um eine dauerhafte Verbindung mit den USA gebeten", sagte Bush. Und die USA seien bereit, diese Verbindung aufzubauen, zwar mit weniger Truppen, "aber auf eine Art und Weise, die unsere Interessen in der Region schützt".
Was sich dahinter verbirgt ist weniger Freundlichkeit, sondern die bittere Erkenntnis, dass das, was auf einen Abzug folgen könnte, noch viel schlimmer wäre als alles, was in den letzten viereinhalb Jahren geschehen ist. Bush breitete dieses Szenario aus, er beschrieb das Chaos, das ohne US-Präsenz einsetzen würde, er zeichnete den Irak als sicheren Hafen für El Kaida, prophezeite einen nuklearen Iran und sah wesentliche Teile der weltweiten Energiereserven in die Hand von Extremisten übergehen. Und schließlich schlug er den Bogen zu den USA und erinnerte an den 11. September 2001 und die Gefahren, die auch die amerikanischen Städte erreichen könnte.
Genau aus dieser Perspektive leitete sich vor allem das Handeln der US-Regierung ab: Es ist die Angst vor den Konsequenzen eines Scheiterns - und es sind weniger die Erfolge. Bushs Kritiker werfen ihm deshalb vor, er habe keine Strategie für den Irak. Und tatsächlich hat man über eine auch nur vage Zukunftsvision für dieses Land von Bush auch gestern nichts erfahren. Der Präsident sprach nicht davon, wie der Irak in ein oder zwei Jahren aussehen könnte, ob der Irak geteilt sein würde, wie die ethnischen Vertreibungen und Fluchtbewegungen das Land verändert haben werden und was eine schiitische Regierung tatsächlich von Demokratie halten würde. Bush ließ all diese Unerfreulichkeiten weg, um die eine unangenehme Wahrheit - die dauerhafte amerikanische Truppenpräsenz - einigermaßen verkaufen zu können.
Wer in der Nacht zum Freitag versuchte, für die Zeit der 15-minütigen Rede einmal alles zu vergessen, was er je über den Irak gehört oder gelesen hatte, für den ergab sich ein bizarres Bild. Denn Bush sprach über den Irak wie über einen in Not geratenen Freund, dem man seine Hilfe nicht verweigern dürfe. Er sprach über den Irak als eine junge souveräne Demokratie, die ihre Hand ausstreckt und die sich müht, ihre inneren Feinde zu besiegen.
Es wäre schön, wenn dies so wäre. Doch in Wahrheit reicht die Demokratie im Irak nicht über die von den USA befestigte Grüne Zone hinaus und nicht einmal dort ist sie wirklich zu Hause. In Wahrheit haben sich die USA in Anbar, Diyala und Teilen Bagdads traditioneller, aber erzautoritärer Clan- und Scheich-Strukturen bedient, um eine gewisse Ordnung herzustellen. In Wahrheit regieren seit dem Abzug der Briten im Süden des Landes schiitische Milizen, die viel mit Religion, so gut wie gar nichts aber mit Demokratie zu tun haben.
Doch das alles kam in Bushs Rede nicht vor. Vielleicht weil er seinen Amerikanern nicht zutraut, mit dieser Wahrheit umzugehen. Vielleicht weil er selbst glaubt, dass dies alles nur negative Propaganda ist. Oder weil er überzeugt ist, dass ein Präsident stets nur nach vorne schauen und nie Zweifel zeigen darf. Doch nach viereinhalb Jahren Krieg und 3 765 gefallenen Amerikanern verbietet sich eine solche Haltung. Die Zeit der Illusionen ist lange vorbei.
Quelle: Handelsblatt.com
J.B.