Gerade in der weltplus gelesen - ich stelle es als Kopie ein, da hinter der Bezahlschranke.
„Ich habe Atemnot und Fieber“ – doch die Wall Street kennt keine Gnade
Stand: 10:27 Uhr | Lesedauer: 6 Minuten
Von Stefan Beutelsbacher, New York
The Wall Street Charging Bull in the wake of the coronavirus COVID-19 pandemic outbreak, Wednesday, March 12, 2020, in New York. (John Nacion/Image of Sport) Photo via Newscom picture alliance |The Wall Street Charging Bull in the wake of the coronavirus COVID-19 pandemic outbreak, Wednesday, March 12, 2020, in New York. (John Nacion/Image of Sport) Photo via Newscom picture alliance |
Der Bulle ist allein: Dichte half, New York zum globalen Zentrum des Geldes zu machen
Quelle: picture alliance / Newscom
New York wird zum Zentrum der Corona-Pandemie. In der Stadt herrscht der Ausnahmezustand, die Menschen gehen auf Abstand. Auch die Wall Street schickt viele Händler ins Homeoffice – allerdings sehr widerwillig. Denn das raubt ihr die größte Stärke.
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Seit er das Virus hat, jongliert er die Millionen nicht mehr im Handelssaal seiner Bank, sondern in seinem WG-Zimmer. Er arbeitet nun an einem MacBook, 13 Zoll, statt an sechs großen Bildschirmen. Das Auf und Ab der Aktienkurse, den wildesten Ritt der Wall Street seit der Finanzkrise, erlebt er bloß noch im Safari-Browser. Und meist liegt er dabei im Bett.
„Ich habe Atemnot und Fieber“, erzählt der junge New Yorker Trader, der anonym bleiben möchte, WELT am Telefon. „Deshalb arbeite ich gerade nur 50 Prozent.“ Er leidet unter der Seuche, vor der sich die ganze Menschheit fürchtet. Aber Zeit zur Genesung nimmt er sich kaum.
„Die Märkte“, stöhnt er, „schlafen ja auch nicht.“ Die meisten seiner Kollegen arbeiten nun ebenfalls zu Hause. Für viele wohl ein Albtraum. Sie sind volle Großraumbüros gewohnt, sitzen normalerweise dicht an dicht, manche springen auf, wenn die Kurse zucken, es wird gejubelt, geflucht, diskutiert.
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„Das alles fehlt mir sehr“, klagt der Händler, „ich brauche den Trubel.“ In seinem WG-Zimmer, neun Quadratmeter groß, Blick auf eine graue Hauswand, herrscht den ganzen Tag lang Stille. „Corona“, sagt der Mann, „hat mich aus meiner natürlichen Umgebung gerissen.“
Für die Trader ist das Homeoffice nervig, für New York könnte es verheerend sein. Die Stadt, meinen Ökonomen, lebt von der Dichte. New Yorks Erfolg komme auch daher, sagen sie, dass so viele Menschen auf engem Raum arbeiten.
Womöglich vor dem Kollaps
Und die höchste Stufe des Gedränges sind wohl die Handelssäle, in denen sich Schreibtisch an Schreibtisch, Monitor an Monitor reiht. Hier können Ideen frei zirkulieren, ohne Wände, ohne Türen. Hier fallen, mit wenigen Worten, manchmal mit einem Nicken, in Sekunden wichtige Entscheidungen.
Dichte half, New York zum globalen Zentrum des Geldes zu machen. Aber nun, in der Corona-Krise, ist das Gegenteil gefordert. Abstand. Eine Katastrophe für die Wall Street. New York wird gerade das neue Zentrum der Pandemie.
Vor einigen Tagen ignorierten viele Bürger noch die Warnungen, aber das ist vorbei. Wer kann, arbeitet jetzt daheim. Die Stadt wirkt gespenstisch, kaum jemand traut sich noch auf die Straße. Denn alle spüren, was geschieht:
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16.03.2020, USA, New York: Der Händler Peter Tuchman arbeitet auf dem Parkett der New Yorker Börse. Foto: Craig Ruttle/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Dass der Erreger, der erst in China wütete, dann in Europa, nun bei ihnen ist. Dass er hier – eben wegen der Dichte – gefährlicher werden könnte als überall sonst auf der Welt. Und dass New York, die Stadt aller Städte, das Symbol für Freiheit, Hoffnung und Reichtum, womöglich vor dem Kollaps steht.
Rund 30.000 Bürger wurden positiv auf Corona getestet. Das Virus, sagen Experten, breitet sich in New York fünf Mal schneller aus als im Rest Amerikas. Inzwischen ballen sich hier fast 50 Prozent der landesweiten und fünf Prozent der weltweiten Infektionen.
Wall Street macht keine Pause
Mehr als 350 Einwohner sind bisher an Covid-19 gestorben. Und es gibt erste Anzeichen einer Panik. Flüge in andere amerikanische Städte sind den Behörden zufolge derzeit ausgebucht. Die New Yorker, so scheint es, fliehen aus ihrer Heimat.
Es herrscht eine Ausgangssperre, seit einer Woche ist nur noch geöffnet, was als unverzichtbar gilt – Apotheken, Supermärkte und Banken. Vor ihren Türen stehen Polizisten in Schutzwesten, um zu verhindern, dass zu viele Kunden gleichzeitig hineindrängen.
Außerdem legte die Politik fest, dass Bürger in der Öffentlichkeit mindestens zwei Meter Abstand zueinander halten müssen. „New York on Pause“ heißt die Verordnung. Die Stadt, die niemals schläft, macht Pause.
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NEW YORK, NY - NOVEMBER 10: CEO and Portfolio Manager Pershing Square Capital Management L.P. William Ackman speaks at The New York Times DealBook Conference at Jazz at Lincoln Center on November 10, 2016 in New York City. (Photo by Bryan Bedder/Getty Images for The New York Times )
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Aber die Wall Street macht keine Pause. Amerikas Börsen erleben eine Achterbahnfahrt. Anfang der Woche stürzte der Dow Jones auf den tiefsten Stand seit November 2016, dann sprang er wieder um 4000 Punkte nach oben.
Der S&P 500 erlebte sogar seinen schnellsten Anstieg seit 1933. Und auf all das müssen viele Händler im Wohnzimmer reagieren, vor Mini-Bildschirmen, während im Hintergrund die Kinder spielen.
Dichte schafft Inspiration
„Ich werde ständig abgelenkt“, klagt ein New Yorker Anleihehändler, der ebenfalls anonym bleiben möchte, WELT. „Manche denken, Homeoffice ist wie Urlaub, für mich ist es Folter.“ Er würde lieber eine stundenlange Fahrt ins Büro in Kauf nehmen. „Ich höre von Leuten, die im Homeoffice fett werden“, schimpft der Mann.
„Aber uns Wall-Street-Händlern kann das nicht passieren, dafür ist der Stress zu groß.“ Auch dieser Trader vermisst seine Kollegen, vermisst den direkten Austausch, vermisst, dass man sich gegenseitig pusht. „Auf den Märkten herrscht Chaos“, sagt er. „Und Menschen, die Millionen verschieben, sitzen an Laptops mit schlechtem WLAN.“
Die Einsamkeit der Banker könnte dramatische Folgen haben. „Dichte“, meint der prominente US-Stadtexperte Richard Florida, „ist auch heute noch wichtig für wirtschaftliches Wachstum.“
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Das gelte trotz aller Digitalisierung, trotz Emails, Chats und Skype. Wo Menschen nah zusammenarbeiten, glaubt Florida, gibt es mehr Inspiration. Und alle Vorhersagen, dass Technologie das ändern könnte, trafen nicht ein.
So hieß es, Videotelefonie werde persönliche Treffen überflüssig machen. Tatsächlich erlebten Geschäftsreisen in den vergangenen Jahren einen Boom. Und nicht nur die Nähe zwischen einzelnen Mitarbeitern ist wichtig. Sondern auch die Ballung von Firmen, wie man sie in vielen Wolkenkratzern Manhattans findet.
Mehrere Trader positiv getestet
Studien zeigen, dass Patente besonders oft dort angemeldet werden, wo es schon viele Patente gibt. Erfinder, so scheint es, ziehen andere Erfinder an. Dieses Phänomen, sagt Florida, machte zum Beispiel Pittsburgh zur Stahlhochburg. Detroit wurde so zur Autostadt. Das Silicon Valley zum Internet-Hub. Hollywood zum Zentrum der Filmproduktion. Nashville zum Mekka für Countrymusik. Und New York zum Herzen der Finanzwelt.
„Innovation“, sagt Florida, „braucht die Konzentration von Industrien, Technologien und Menschen.“ Treibt die Corona-Pandemie die Menschen nun auseinander? Gelingt einem Virus, was E-Mails, Chats und Skype nicht schafften?
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Schnellster Computer der Welt kämpft jetzt gegen Corona
Auf der Wall Street sieht es gerade danach aus. Der Abstand zwischen den Menschen wächst. Denn mehrere Trader wurden positiv auf das Coronavirus getestet.
In den frühen Tagen der Pandemie wischten Putzkolonnen kurz die Schreibtische der Infizierten ab, dann wurde weiter gehandelt. Aber nun sind die Banken vorsichtiger. Viele verteilen ihre Angestellte auf Not-Handelssäle, damit alle in einem größeren Abstand zueinander sitzen.
Fluch der Einsamkeit
Manche tun aber auch alles, um das Gedränge zu retten. Als sich zum Beispiel ein Trader von JPMorgan infizierte, heißt es, wurden alle Kollegen nach Hause geschickt, die ihren Schreibtisch in derselben Reihe hatten – jene aber, die auf der anderen Seite des Ganges saßen, mussten bleiben.
Bei der Bank of America sollen die Manager Informationen über einen Corona-Fall im Handelssaal sogar absichtlich zurückgehalten haben. Wahrscheinlich, damit die Angestellten nicht auf die Idee kommen, ins Homeoffice zu fliehen.
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Die Abneigung gegen das Homeoffice könnte bei manchen Banken daher rühren, dass sie um den Fluch der Einsamkeit wissen. Andere dürften Probleme haben, ihren Angestellten zu Hause die nötige Technik zur Verfügung zu stellen, etwa die gut gesicherten Bloomberg-Terminals, die Marktdaten in Echtzeit liefern.
Erfahrene Trader, sagt der junge New Yorker, der jetzt in seinem WG-Zimmer arbeitet, könnte auch noch etwas anderes stören. „Für einige ist die Zahl der Bildschirme, die sie im Handelssaal haben, ein Statussymbol“, erzählt er. „Vor einem Laptop im Wohnzimmer fühlen sie sich weniger wichtig.“