Finanz- und Wirtschaftskrise trifft die Briten besonders hart
Das einstige Musterland Europas Großbritannien steckt tief in
der Rezession. Um satte 1,5% – und damit so stark wie seit 1980
nicht mehr – schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im vierten
Quartal, nachdem es bereits in den drei Monaten bis Ende
September um 0,7% zurückgegangen war. Ein Grund für den
starken Rückgang war die Kaufzurückhaltung der Verbraucher:
Der private Konsum sank um 0,7% und damit so deutlich wie
seit 1991 nicht mehr. Der Einbruch der Industrieproduktion erreichte
im Dezember mit -9,4% im Jahresvergleich seinen bisherigen
Höhepunkt, nachdem bereits seit Mai negative Wachstumsraten
ausgewiesen worden waren.
Hinzu kommen die Probleme im britischen Bankensektor: Die
Finanzkrise trifft Großbritannien härter als andere EU-Staaten,
denn Banken und Versicherungen machen auf der Insel ein
Fünftel der Wirtschaftsleistung aus. Der Anteil der Industrie am
Bruttoinlandsprodukt lag dagegen 2007 nur noch bei 12,6%.
Um die Banken des Landes vor der Pleite zu bewahren, legte die
Regierung bereits zwei Milliarden-Rettungspakete auf. Nachdem
die Rekapitalisierung der Banken im Herbst mit staatlichen
Hilfsspritzen nicht die erhoffte Wirkung gebracht hatte, brachte
die britische Regierung jüngst das „Asset Protection Scheme“
auf den Weg. Dieses besagt, dass die Banken ihre „toxischen“
Posten, von faulen Hypothekenkrediten bis hin zu unverkäuflichen
Derivaten aus ihren Büchern ausklammern und außerhalb
parken dürfen. Die Risiken versichert dabei die Regierung,
wobei sie im Gegenzug Anteile der angeschlagenen Banken erhält.
Mit der Royal Bank of Scotland und Lloyds TSB, die diesen
Rettungsanker ergreifen mussten, ist damit der Anfang der Verstaatlichung
britischer Banken gemacht (Staatsbeteiligung bei
68% bzw. 77%). Die abgesicherten faulen Papiere allein dieser
beiden Banken belaufen sich auf 700 Milliarden GBP. Damit haben
die versicherten Risiken nur dieser beiden Institute bereits
ein größeres Volumen als die insgesamt im britischen Staatshaushalt
eingeplanten Ausgaben im Fiskaljahr 2008/2009 von
618 Milliarden GBP.
Dabei war der Wandel von der Industrie- zur modernen Dienstleistungsgesellschaft
einst die Triebfeder, die den wirtschaftlichen
Aufschwung Großbritanniens Ende des 20. Jahrhunderts
vorangetrieben hatte. Neue Steuerquellen belohnten die
Staatskasse für diese Weichenstellung. Noch 2007 entfielen
20% des Steueraufkommens auf den Finanzplatz London; er
war zum Rückgrat von Englands neuem Reichtum geworden
und erlaubte der Regierung, in Schulen und Krankenhäuser zu
investieren und ein reformfreudiges Image zu pflegen. Doch
mit der Finanz- und Bankenkrise zerplatzte in Großbritannien
auch der Traum vom Wirtschaftswunder.
Mittlerweile nähert sich die Zahl der Arbeitslosen im Königreich
der Zwei-Millionen-Marke. Ende Dezember 2008 waren nach
Angaben der britischen Statistikbehörde 1,97 Millionen Briten
ohne Job. Das war die höchste Zahl seit der Regierungsübernahme
der Labour-Partei im Jahr 1997. Im letzten Quartal 2008
stieg die Zahl der Arbeitslosen um 146.000, die Arbeitslosenquote
erreichte mit 6,3 Prozent ein Neunjahreshoch – und das
Ende der Fahnenstange dürfte noch lange nicht erreicht sein.
Ein düsteres Bild zeichnete auch der Chef der Bank of England
(BoE) Mervyn King. Nach seiner Einschätzung wird die Wirtschaft
im Jahr 2009 um 4% schrumpfen. Um die Wirtschaft anzukurbeln,
hat die BoE ihren Leitzins sukzessive auf nunmehr
nur noch 0,50% gesenkt. Die konventionellen Maßnahmen der
Geldpolitik sind damit ausgeschöpft; eine weitere Absenkung
in Richtung Null-Prozent-Marke bringt kaum noch einen wirtschaftlichen
Stimulus. Die BoE hat daher das nächste Kapitel
aufgeschlagen und sich auf den Pfad des so genannten „Quantitative
Easing“ begeben. Dies bedeutet nichts anderes als eine
Ausweitung der Geldmenge durch den Aufkauf von Staatsanleihen.
Angekündigt wurde zunächst der Erwerb von mittelund
langfristigen Gilts in Höhe von 75 Milliarden GBP. Der Effekt
ist folgender: Durch den Anleihenkauf werden den Banken
zusätzliche 75 Milliarden GBP zur Verfügung gestellt. Diese, so
hofft man, werden wiederum als Kredite an die Wirtschaft vergeben.
Ob diese Maßnahmen greifen oder die Ankurbelung der
Kreditvergabe durch Liquiditätsbereitstellung möglicherweise
nur ein frommer Wunsch bleibt, weil der Bankensektor die zusätzlichen
Mittel eher zur Sanierung der eigenen Bilanzen nutzt
denn sie an die Wirtschaft weiterzugeben, bleibt offen.
Für das britische Pfund ist diese Gemengelage – tiefe Rezession
und Ausweitung der Geldmenge – Gift. Denn ein Anwerfen der
Makro View
Makro View
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Notenpresse birgt auch Risiken: Langfristig, wenn die rezessiven
Tendenzen abnehmen und es wirtschaftlich wieder aufwärts
geht, könnte die erhöhte Geldmenge die Inflation antreiben. Einen
tiefen Absturz des Pfunds verhindert lediglich die Tatsache,
dass es anderen Ländern zurzeit kaum besser ergeht – wenn
auch die Probleme beispielsweise in der Eurozone ein wenig
anders gelagert sind. Man denke hier nur an die Probleme in
Osteuropa und das starke Engagement westeuropäischer Banken
in dieser Region sowie die schlechte Haushaltsverfassung
einiger Mitgliedsländer der Eurozone.
Die Parität dürfte für EUR/GBP daher weiterhin ein unerreichbares
Ziel bleiben. Erholungen in Richtung 0,95er-Marke sehen
wir als eine gute Verkaufsmöglichkeit mit Ziel einer Rückkehr
zunächst in den niedrigen 0,90er-Bereich. Bei GBP/USD sind die
Vorzeichen klar negativ: Fällt „Cable“ unter die 1,3500, dürfte ein
Test der runden 1,3000 nicht lange auf sich warten lassen.
Tomke Hansmann
FXdirekt Bank