Marktkommentar: Emmanuel Petit (Rothschild & Co): Strategie für Anleihen - Juli 2023

Dienstag, 08.08.2023 09:35 von

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Die Marktdynamik spiegelt eine gewisse Gelassenheit wider, obwohl das Umfeld noch immer von Unsicherheit geprägt ist.

21.07.2023 -

Das halbvolle Glas

Die Marktdynamik spiegelt eine gewisse Gelassenheit wider, obwohl das Umfeld noch immer von Unsicherheit geprägt ist. Wir sehen eine Abweichung zwischen Signalen, die vom Zinsmarkt kommen, und der Einschätzung der Aktienmärkte. Letztere vertrauen voll und ganz darauf, dass die Zentralbanken in der Lage sein werden, die Inflation zu zügeln, ohne größeren Schaden anzurichten oder eine Rezession zu verursachen. An dieses durchweg optimistische Szenario, das wir für unwahrscheinlich halten, scheinen derzeit die Mehrheit der Marktteilnehmer zu glauben. Die Befürchtungen in Bezug auf den Bankensektor haben sich im Übrigen schnell verflüchtigt und die Leitzinserwartungen sind fast wieder auf das Niveau vor dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse Übernahme gesunken.

Das unsichere Umfeld, in dem wir uns derzeit befinden, findet allgemein nur wenig Beachtung. Die Risikoprämien bleiben relativ niedrig, während die Volatilitätsniveaus eine gewisse Gelassenheit widerspiegeln. Doch die Inversion der Zinskurve hat sich im Vergleich zum ersten Quartal weiter verschärft und ein Niveau erreicht, das seit den Volcker-Jahren nicht mehr verzeichnet wurde. Die Renditen des langen Laufzeitensegments bewegen sich nicht vom Fleck und deuten auf weiterhin fest verankerte Inflationserwartungen hin – die 10-Jahres-Erwartungen liegen derzeit bei 2,25%(1). Mit anderen Worten: Der Markt vertraut auf die Zentralbanken.

Die Gefahr eines zu hohen Vertrauensvorschusses

Die Notenbanken haben nun ein neues Problem: Sie müssen verhindern, dass die Märkte in Euphorie verfallen. Zwar sind sie sich der Risiken eines übermäßigen Optimismus bewusst, halten aber beharrlich an ihrer restriktiven Rhetorik fest. Ihr oberstes Ziel besteht darin, die Inflation wieder auf ihre preispolitische Zielmarke von 2% zu senken. Nichtsdestotrotz hat die Fed eine Pause in ihrem Zinserhöhungszyklus beschlossen. Im März hatten die Zentralbanken Kanadas und Australiens die gleiche Entscheidung getroffen, so dass die Märkte von ihren jüngsten Zinserhöhungen auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Das Unverständnis ist nun jedoch umso größer, als die Notenbanken nach dieser Entscheidung einen noch restriktiveren Ton als in den Vormonaten anschlugen.

Während die US-Notenbank in ihren Zinsprognosen noch immer von zwei aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen ausgeht, scheint der Markt nur noch eine einzige zu erwarten. Auch wenn die Auswirkungen der geldpolitischen Entscheidungen immer erst zeitlich versetzt durchschlagen, treten wir derzeit in eine Phase ein, in der die Folgen der jüngsten Beschlüsse jeden Monat neu bewertet werden müssen, zumal eine disinflationäre Bewegung einzusetzen scheint. Diese Gemengelage könnte in der Tat darauf hindeuten, dass sich die Lage allmählich wieder „normalisiert“, ohne dass die fulminanten Zinserhöhungen der Vormonate größere Auswirkungen auf die Wirtschaft zeigen.

Der Schein trügt

In den USA ist die Konjunktur widerstandsfähig, die Inflation geht leicht zurück und der Arbeitsmarkt bleibt robust. Trotzdem geht das Rezessionsgespenst noch immer um. Alle makroökonomischen Frühindikatoren und Marktindikatoren stehen auf Rot. Seit Ende März hat sich die Lage weiter verschlechtert. Die Folgen von Zinserhöhungen dürfen nicht ignoriert werden, zumal die Finanzierungsbedingungen nach wie vor kostspieleig sind. Außerdem befinden sich die PMI(2) für den Dienstleistungssektor im Abwärtstrend, auch wenn sie derzeit noch über 50 Punktenliegen. Der PMI für das verarbeitende Gewerbe ist bereits unter diese Schwelle gesunken. Historisch gesehen gibt der Dienstleistungs-PMI in analog des PMI für das verarbeitende Gewerbe nach. In diesem Punkt ist die Situation auf beiden Seiten des Atlantiks vergleichbar.

Allerdings geht die Inflation in Europa viel langsamer zurück als in den USA. Daher sind die Rahmenbedingungen für die EZB schwieriger und bieten Anlegern weniger Transparenz in Bezug auf die „Landung“ ihrer Geldpolitik. Die Zyklusdiskrepanz zwischen Europa und den USA untermauert diese Ungewissheit. Die Fed hat durch stärkere und schnellere Zinsanhebungen inzwischen greifbare Ergebnisse erzielt. In Europa ist die Lage nicht so eindeutig. Sollte es jedoch zu einer Rezession in den USA kommen, werden die langfristigen Zinsen in Europa im Kielwasser ihrer US-amerikanischen Pendants sinken, auch wenn die EZB weitere Zinserhöhungen ankündigt.

Vorsichtige und selektive Strategie

Vor diesem Hintergrund haben wir die Zinssensitivität der Portfolios erhöht, damit wir im Verhältnis zum Markt praktisch neutral positioniert sind. Allerdings vermeiden wir eine Übergewichtung dieser Sensitivität, da das Realzinsumfeld in Europa noch immer negativ ist und nicht absehbar ist, auf welchem Zinsniveau die EZB-Politik „landen“ wird. Darüber hinaus haben wir den Tracking Error(3) der Portfolios durchweg gesenkt und hierzu die riskanten Anlagen durch den Verkauf von Werten mit hohem Beta reduziert. Obwohl wir zunächst Staatsanleihen mit sehr langen Laufzeiten den Vorzug gegeben hatten, um von einer Absicherung des Risikos bei attraktiven absoluten Niveaus zu profitieren, schichteten wir unsere Allokation in der Folge aufgrund der zunehmenden Inversion der Zinskurve auf fünfjährige Anleihen um und erhöhten gleichzeitig leicht die Sensitivität der Portfolios. Wir sind der Auffassung, dass wir mit dieser Positionierung für einen potenziellen Kurswechsel in der Geldpolitik gut gerüstet sind.

Ansonsten bevorzugen wir Sektoren, die wie etwa der Bankensektor dank der jüngsten Zinsentwicklung eine hohe Rentabilität erzielen können und solide Fundamentaldaten aufweisen. Gleichzeitig gehen wir opportunistisch vor und investieren in Wertpapiere mit attraktiven Renditen. Wir sind in alle Abstufungen des Investment-Grade-Ratings(4) investiert, angefangen bei den höchst bewerteten Anleohen. Wir erwarten eine positive Bonitätsentwicklung und auf eine Verbesserung der Fundamentaldaten. Wir stärken die Robustheit unserer Fonds, um eine weitergehende Volatilität und Ausschläge nach unten aushalten zu können. Bei den flexibleren Fonds behalten wir uns einen gewissen Handlungsspielraum vor, damit wir uns opportunistisch in riskantere Emissionen positionieren können.

Lesen Sie hier den Originalartikel mit Grafiken.

(1) Quelle: Fed, Bloomberg, Rothschild & Co Asset Management 26/06/2023. 

(2) Der Einkaufsmanagerindex ist ein Indikator, der das Vertrauen der Einkaufsmanager widerspiegelt. Indexwerte über 50 signalisieren eine positive Geschäftsentwicklung der Dienstleister im Vergleich zum Vormonat, während bei einem Fall unter 50 mit einer negativen Geschäftsentwicklung zu rechnen ist. 

(3) Standardabweichung der Volatilität eines Fonds im Vergleich zu seinem Referenzindex. 

(4) Unternehmens- oder Staatsanleihen mit einem Rating von AAA bis BBB- der Ratingskala von Standard & Poor's.


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