Theresa May, die schwankende Lady

Donnerstag, 01.03.2018 20:31 von

Die Frage, wie die künftige Grenze zwischen dem EU-Land der Republik Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland aussehen soll, entpuppt sich immer mehr als Knackpunkt der Brexit-Verhandlungen. Dies wurde einmal mehr deutlich, als gestern EU-Chefunterhändler Michael Barnier den ersten Entwurf für den Austrittsvertrag mit Großbritannien vorgelegt hatte. Da das Papier nicht ausschließt, dass die britische Provinz notfalls im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt, schlugen in London die Wogen der Empörung hoch. Kein britischer Premierminister könnte einer Zoll- und Regulierungsgrenze entlang der Irischen See, die zwischen Großbritannien und Irland liegt, je zustimmen, sagte Premierministerin Theresa May in London.

 

Würde der Entwurf bei einer Umsetzung laut May doch die freie Wirtschaft von Großbritannien untergraben und dessen Verfassungsintegrität gefährden. Jedoch gilt auch hier: Das Ziel ist der Weg. Denn war doch 1998 die offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland der Schlüssel zur Beendigung des Nordirlandkonflikts – und damit eine Frage von Krieg und Frieden. Deshalb will London auch bei einem harten Brexit offene Grenzen ohne Kontrollen, kann aber bisher keine praktikable Lösung präsentieren. Dies offenbart einmal mehr die Planlosigkeit der britischen Regierung und ihrer Premierministerin.

 

Und die gerät immer mehr unter Druck. Denn nun bietet die britische Labour-Party eine politische Alternative zu einem harten Brexit. So will die Oppositionspartei in Westminster nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU für den Verbleib des Landes in einer Zollunion mit der Gemeinschaft kämpfen. Die Partei strebt auch eine „neue, starke Beziehung“ zum EU-Binnenmarkt an und schließt eine erneute Teilhabe am Binnenmarkt nicht mehr grundsätzlich aus. So fordert Parteiführer James Corbyn Verhandlungen über eine „neue und umfassende Zollunion", die britischen Unternehmen auch nach dem Brexit den zollfreien Warenverkehr mit der EU ermöglichen soll. Dies würde einem sogenannten weichen Brexit gleichkommen, wie ihn auch eine Reihe von Tory-Rebellen fordert. Corbyn, der sich um die Frage nach einem harten oder weichen Brexit immer herumdrückte, hat sich nun klar positioniert. Damit eröffnet Labour den Briten nicht nur eine neue Option, gleichzeitig setzt die Opposition auch Premierministerin Theresa May massiv unter Druck. Denn im Unterhaus gibt es mindestens zwölf Abgeordnete von Mays Tory-Party, die ihr Land ebenfalls in der Zollunion halten und gegen einen harten Brexit stimmen wollen. Rein rechnerisch verfügen die Gegner einer harten Linie nun über eine knappe Mehrheit im Unterhaus.

 

Theresa May wird damit immer mehr zur schwankenden Lady, denn eine Niederlage der Premierministerin nach Ostern, wenn das Parlament über einen Gesetzentwurf der May-Kritiker abstimmen wird, rückt nun vollends in den Bereich des Möglichen. Mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetz soll Großbritannien eng an die EU-Zollunion gebunden werden, um Nachteile für die Wirtschaft zu verhindern und Kontrollen an der künftigen EU-Außengrenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland zu vermeiden. Wenn May dieses Votum verliert, müsste sie wohl zurücktreten. Ja, möglicherweise könnte dies auch zu Neuwahlen führen. Der folgende Wahlkampf wäre dann nahezu ausschließlich von Brexit-Themen geprägt. Man darf gespannt sein auf den kommenden Freitag, an dem die Premierministerin ihren Standpunkt zu der neuen Situation erläutern will. Immerhin, die Hoffnung auf einen sanften Brexit hat wieder neue Nahrung erhalten.



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