Es darf keinen Binnenmarkt à la Carte geben

Donnerstag, 15.03.2018 17:54 von

Dass der EU-Austritt die Briten teuer zu stehen kommt, haben inzwischen auch manch eingefleischte Brexiteers kapiert. Umso heftiger tobt der Streit um die Kostenverteilung im Rahmen der Austrittsverhandlungen zwischen der EU-Kommission und London. Auf 37 Mrd. GBP, also rund 41 Mrd. €, taxiert die britische Haushaltsbehörde OBR die offene Rechnung, die Großbritannien bei seinem anvisierten Austritt aus der Europäischen Union bezahlen müsste. Dieser Betrag liegt in der Spanne von 35 bis 39 Mrd. GBP, welche die britische Regierung genannt hatte, und weit unter der Austrittsrechnung von mindestens 52 Mrd. GBP, welche die EU aufgemacht hatte.

Dies wäre freilich nur ein Teil der Kosten, welche im Zusammenhang mit dem für März 2019 geplanten Brexit entstehen werden. Schließlich bringt der EU-Austritt der Briten weitere Folgekosten mit sich, die heute noch gar nicht zu beziffern sind. Unberücksichtigt sind hierbei die negativen Auswirkungen der immer noch unklaren zukünftigen Beziehungen zur britischen Wirtschaft. So hat bereits heute das Engagement deutscher Firmen in Großbritannien deutlich abgenommen, wie der Industrieverband BDI konstatiert. Kein Wunder, dass sich in vielen deutschen Unternehmen im Vereinigten Königreich zunehmend mehr Mitarbeiter auf Stellen an anderen Standorten innerhalb der EU bewerben. Ablesen lässt sich die große Zurückhaltung ausländischen Engagements in UK auch am Einbruch der Auslandsinvestitionen, die von 200 Mrd. Dollar im Jahr 2016 auf nur noch 20 Mrd. Dollar im Folgejahr zurückgegangen sind.

Auch ein Scheitern der Brexit-Verhandlungen würde die Unternehmen teuer zu stehen kommen. Auf deutsche Firmen könnten Kosten von jährlich 9 Mrd. € zukommen, rechnen das Beratungsunternehmen Oliver Wyman und die Anwaltssozietät Clifford Chance vor, sollte der Handel zu den Zoll-Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückkehren. Die britischen Unternehmen würde diese Variante mit 32 Mrd. € noch deutlich teurer kommen. So gesehen, erscheint der Brexit als ein gigantisches Kostenerhöhungsprogramm, das der Verbohrtheit einer nationalistisch orientierten Denke zu verdanken ist.

Mit einher geht auch das „Risiko von Dumping“, wie es EU-Unterhändler Michel Barnier genannt hat. Damit meinte er einen drohenden Wettlauf um die laxesten Regeln nach dem Brexit. Dieses Risiko, so machte Barnier nun klar, könnte die Ratifizierung des Austrittsvertrages gefährden. Die britische Regierung ist hier immer noch die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, ob sie gemeinsam entwickelte Grundsätze verwerfen oder sie unterschreiten wolle.

Man wird sehen, ob es gelingt, in den kommenden Tagen bei den reinen Austrittsfragen Fortschritte zu erzielen - ebenso bei der von Großbritannien gewünschten Übergangsphase von etwa zwei Jahren. Klar muss aber auch sein, dass sich Großbritannien nicht nur dort an die EU-Regeln hält, wo es dem Land passt. Oder, wie es Barnier ausdrückt: „Man kann keinen Binnenmarkt à la carte haben.“

Doch bei aller unterschiedlichen Denkweise zum Brexit ist in Großbritannien inzwischen ein anderes Thema in den Mittelpunkt des nationalen Interesses gerückt. Vielleicht kam ihr das Thema ja nicht ungelegen, um von dem Brexit-Schlamassel abzulenken, und man kann Verständnis dafür haben, wie Premierministerin Theresa May auf den Giftanschlag von Salisbury reagiert hat. So verhängte die britische Regierung harte Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland, unter anderem durch die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten aus Großbritannien. Außerdem sollen die bilateralen Kontakte zwischen beiden Ländern auf Eis gelegt werden. Sicherlich wird die harte Linie der amtierenden Premierministerin nicht schaden und ihrem Ansehen bei der eigenen Bevölkerung förderlich sein. Aber auch der im Wahlkampfmodus befindliche Wladimir Putin wird auf die seines Erachtens unberechtigte Schuldzuweisung mit einer Machtdemonstration reagieren.

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