Die Tücken des billigen Geldes

Samstag, 09.06.2018 11:00 von

Für die Staatsregierungen ist die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) seit vielen Jahren ein Segen. Und auch nach einem möglichen Ende der Anleihekaufprogramme ist mit einem Explodieren der Refinanzierungskosten noch nicht zu rechnen. Denn die Masse der bisher angekauften Wertpapiere und die Wiederanlage infolge von Fälligkeiten werden die Renditen in den betreffenden Segmenten weiterhin auf niedrigem Niveau verharren lassen. Das wird vielen Regierungschefs die notwendige Luft zum Atmen verschaffen, die jedoch in der Vergangenheit oftmals nicht oder zu wenig genutzt wurde.

Das ist die eine Seite der Medaille und insbesondere Unternehmen, die sich nicht über Steuern selbst refinanzieren können, laufen Gefahr unter einer anderen Nebenwirkung der verabreichten Medizin zu leiden. So werden mittels billiger Kredite die auch in der Wirtschaft geltenden Gesetze des Darwinismus ausgehebelt. Damit ist gemeint, dass Gesellschaften, die aufgrund Unrentabilität des eigenen Geschäftsmodells schon längst insolvent sein müssten, im Umfeld einer soliden Konjunktur immer noch Bestandteil des Systems sein können. Denn niedrige Zinsen und eine gute Wirtschaftslage führen automatisch zu einer geringen Anzahl von Unternehmenspleiten, was jedoch beim Drehen der Rahmenbedingungen für jede Volkswirtschaft sehr schnell zum Problem werden kann.

Die Gefahr lauert hierbei aber nicht nur in Form von gestiegenen Refinanzierungskosten am Kapitalmarkt, sondern auch ein Einbrechen der Konjunktur kann jedes noch so solide aufgestellte Unternehmen zum Wanken bringen. Das beste Beispiel dafür wie schnell so etwas gehen kann, liefert zurzeit D. T., der Unberechenbare, mit seiner „America First“-Politik. Hierbei kann man den Wirtschaftsbossen noch nicht einmal den Vorwurf machen, sie hätten die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt. Sondern die gegenseitig ausgesprochenen Strafzölle können zum einen ein wirtschaftliches Gefüge aus dem Gleichgewicht bringen und zum anderen auch einzelne Unternehmen in die Insolvenz treiben. Die daraus resultierende Kettenreaktion stellt nicht zuletzt für die Finanzindustrie eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. So kann beispielsweise eine Pleitewelle in einem Land auf andere EU-Staaten ausstrahlen und Banken in eine Schieflage bringen. Denn bereits jetzt wird bei europäischen Banken jeder zehnte Firmenkundenkredit nur unzureichend bedient. Jedoch gibt es regionale Unterschiede. So können beispielsweise Banken in Deutschland und Frankreich auf einen geringen Anteil nicht bedienter Firmenschulden von unter 6% verweisen. In Griechenland liegt die Quote bei satten 52%, in Portugal bei 30,5% - und in Italien möchte man über die Zahl sicherlich gerne den Mantel des Schweigens ausbreiten. Noch gravierender kann in diesem Zusammenhang werden, dass Europas Unternehmen - infolge der Niedrigzinspolitik -ihre Vorliebe für kurzfristige Überbrückungskredite entdeckt haben. Im Euroraum sollen solche Verbindlichkeiten inzwischen sogar rund ein Drittel aller Bankkredite der Unternehmen ausmachen.

Für die von der EZB verordneten Medikamente gibt es zwar keinen Beipackzettel, in dem die Nebenwirkungen aufgelistet sind. Aber mit gesundem Menschenverstand kann man Eins und Eins zusammenzählen und sollte sich zumindest mit dieser Gefahr gedanklich vorab beschäftigen. Ich weiß nicht, was der EZB-Notenbanker in einem solchen Marktumfeld empfiehlt, aber ich empfehle Wachsamkeit!

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