über die Bankenkrise, aber endlich mal eine, in der der Lehman-Chef nicht als der alleinige personifizierte Schuldige wegkommt....
Andrew Ross Sorkin “Die Unfehlbaren”: Der Wall Street fehlt trotz Finanzkrise die Demut
coien am 10.12.2010, 02:02 (Gastkommentar)
Am vergangenen Wochenende habe ich das Finale des packenden Insiderberichts direkt aus dem Auge des Hurrikans der Finanzkrise beendet. Die Unfehlbaren: Wie Banker und Politiker nach der Lehman-Pleite darum kämpften, das Finanzsystem zu retten, ist ein absolutes Muss, wenn man sich mit der Finanzkrise 2007 – 2009 ernsthaft auseinander setzen will.
Andrew Ross Sorkin verzichtet glücklicherweise darauf, den Gelehrten zu spielen und eine eigene Interpretation zu den Ursachen und dem Verlauf der Finanzkrise zu präsentieren. Er nimmt seine Leser in dem über 600 Seiten umfassenden Werk vielmehr mit auf eine spannende Reise in die Welt der mächtigen Entscheidungsträger im US-Finanzwesen. Er rekonstruiert in einem unterhaltsamen Schreibstil die Zeit zwischen der Rettung von Bear Stearns und dem Zeitpunkt im Herbst 2008, zu dem die Top-Banken eine staatliche Zwangskapitalisierung erhalten haben.
Das Buch glänzt mit Insiderberichten rund um die großen Rettungsaktionen, die das Finanzsystem im Sommer und Herbst 2008 vor dem Kollaps bewahren sollten. Die Protagonisten sind der damalige US-Finanzminister Henry Paulson, der US-Notenbankchef Ben Bernanke und der damalige Chef der New Yorker Zentralbank und heutige Finanzminister Timothy Geithner. Viele prominente Nebendarsteller aus der US-Finanzszene, wie die Chefs der US-Investment- und Großbanken, Finanzinvestoren und natürlich dem Ex-CEO von Lehman Brothers, Richard Fuld, schaut Ross Sorkin bei den Bemühungen über die Schulter, vor allem erst einmal ihre eigene Häuser, die eigenen Jobs und dann erst die Krise zu bekämpfen.
Trotz des wohltuenden Verzichts auf die reißerische Polemik vieler Zeitungsberichte aus der damaligen Zeit, entmystifiziert Ross Sorkin gekonnt den inneren Zirkel der Wall Street, die am Ende auch nur mit Wasser, wenn auch mit sehr viel davon, kochen. Den Schilderungen über die z. T. chaotischen “Rettungssitzungen” in den Räumen der New Yorker FED oder des US-Finanzministeriums haftet Sorkin durch seine fast detailverliebten Schilderungen einen Hauch von Normalität an. Man hat fast den Eindruck, dass eine Sitzung mit Goldmans Lloyd Blankfein auch nicht anders verläuft, als jede beliebige Krisenbesprechung, die man selbst vielleicht schon einmal mitmachen musste.
Der von den Medien als böser Bube der Finanzkrise auserkorene ehemalige Chef von Lehman Brothers kommt in dem Buch vergleichsweise gut davon. Ross Sorkin, der das angesehene Blog Dealbook der New York Times leitet, schildert sehr glaubhaft die Bemühungen von Dick Fuld, “seine Bank” zu retten. Er spricht ihn zwar nicht frei von “Größenwahn” und einer Portion Naivität, glaubt aber nicht, dass die Anstrengungen Fulds allein von “Gier” getrieben waren.
Verdrängt hatte ich die zentrale Rolle, die die damalige britische Regierung beim Untergang von Lehman Brothers gespielt hatte. Als am historischen Sonntag, dem 14. September, der Showdown für die Finanzmarktkrise an der Wall Street lief, stand man ja kurz vor einer Lösung für Lehman Brothers. Die britische Barclays Bank war bereit zum Kauf unter bestimmten Bedingungen. Diese Transaktion setzte aber die Zustimmung der britischen Regierung bzw. Regulierer voraus. Weil diese ausblieb, scheiterte die Lösung auf den letzten Metern. Gleichwohl zeigt Ross Sorkin auch hier nicht mit dem Finder auf England, weil er die Komplexitäten der Zusammenhänge erkennt. Und die Komplexitäten passen nicht in das Goog-Guy-Bad-Guy-Schema.
Wie gesagt, Sorkin verteufelt die Banker nicht pauschal (siehe auch dieses Interview auf Spiegel Online). Am Ende seines Buches vermisst er allerdings die Demut an der Wall Street und schreibt:
“Am beunruhigendsten ist vielleicht, dass das Ego an der Wall Street immer noch eine zentrale Rolle spielt. Zwar zerstörte die Finanzkrise Karrieren und ruinierte so manchen Ruf, während viele weitere Akteure mit einem blauen Auge davonkamen, doch es gibt auch Überlebende, die sich jetzt erst recht unverwundbar fühlen, weil sie den Blick in den Abgrund überlebt haben. Was im gegeben Umfeld auch heute noch fehlt, ist ein echtes Gefühl der Demut.”
Das Buch bietet jedenfalls reichlich Stoff für viele weitere Blogartikel. Daneben glänzt es mit 40 Seiten Anmerkungen, Quellenmaterial und Bibliografie. Erstklassige Arbeit, die man sich in ähnlicher Form auch für die Bankenkrise in Deutschland wünscht.
PS
Demut zeigte übrigens jüngst Warren Buffett, der in einem Gespräch mit CNBC einräumte, wie sehr er persönlich von den staatlichen Rettungsaktionen profitieret habe. Ohne die Bailouts hätte er Thanksgiving bei McDonalds essen müssen. Buffett wird aber auch nicht zur Wall Street gerechnet.
Quelle: www.de.sharewise.com/finanznachrichten/33050-Finanzmarkt
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Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg
in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen.
(Terry Pratchett)
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